Ein Liebesbrief an Merlot

Es war Dezember 2020 als wir dich im Tessin kennen lernen durften. Du kamst von keinem guten Ort. Der erste Spaziergang mit deinen ehemaligen Besitzern bleibt mir schmerzlich in Erinnerung. Ein Kettenhalsband, ein junger Mann, der dich „führte“ und du, der im Halsband hing und fast keine Luft mehr bekam, weil du so in der Leine gehangen hast. Deine Augen wurden rot und ich hielt es nicht mehr aus. „Posso?“ waren meine Worte und nahm die Leine. Dann standen wir still, damit du dich erholen konntest. Mit Guetzli führte ich dich weiter, ohne dass du in diesem grässlichen Halsband hängen musstest. Du warst so schlau und glücklicherweise unglaublich verfressen. Nach zwei weiteren Spaziergängen, diesmal am Geschirr, das ich von Savia noch hatte, haben wir uns für dich entschieden. Wir trotzten dem Schneesturm auf der Fahrt ins Tessin und holten dich zu uns nach Hause.
Ein dünner, aber grossgewachsener Kerl warst du. Ein „lauter“ Hund, in allen Bereichen, man kam nicht umhin zu merken, wenn dir was nicht passte. Deine Geduld hing immer am seidenen Faden. Deine Reaktion auf die Umwelt war nicht zu übersehen; alles machte dir Sorgen. Du wolltest alles von dir weg haben. Nur uns nicht, uns hast du alles geschenkt. Ich hatte noch nie so einen Hund wie dich. So kam es, dass ich viel lernen musste und dafür bin ich dir auf ewig dankbar. Ohne dich wäre ich nicht so weit gekommen. Du warst mein schwierigster Schüler, aber doch der beste Lehrer. Ich habe dich so geliebt.

Jetzt bist du nicht mehr da, nur 3,5 Jahre durften wir mit dir verbringen. Es schmerzt so sehr, ich habe meinen besten Freund verloren.
Dein kurzes Leben war nicht fair. Leider hast du bei der Verteilung der guten Gene nicht die Hand aufgehalten, sondern alles abgekommen, was dein Leben umso schwerer machte. Es war viel verlangt, das alles auszuhalten. Aber du warst der kleine 40 Kg-Kämpfer, den ich täglich bewunderte.

Kaum bei uns, bekamst du eine Hirnhautentzündung. Sechs Monate Therapie mit Kortison war die Folge. Dein Magen war von Anfang an unglaublich sensibel, es dauerte lange, bis wir deinen Magen saniert hatten und bis dahin musstest du oft sehr leiden. Als endlich vieles Gut wurde, kam der nächste Schicksalsschlag. Ein Marathon an Tierarztbesuchen, Spezialisten in verschiedenen Kliniken, bis nach Italien fuhren wir. Und trotzdem: keine Diagnose, keine Therapiemöglichkeit, nichts...
Die Lähmung schritt voran, zuerst im linken Vorderlauf, dann kam der Rechte dazu. Innerhalb eines halben Jahres warst du vorne gelähmt. Und niemand wusste warum.

Den Rollstuhl fandest du so richtig doof, solange du dich noch irgendwie selber fortbewegen konntest, wolltest du das auch selber tun. Du warst bist zur letzten Stunde ein fröhlicher, aufgeweckter, unglaublich intelligenter, verspielter, herzensguter und treuer Boxer. Mein Merlot, der sich nicht verbiegen liess, aber meine Hilfe dankend annahm. Was haben wir alles zusammen erlebt? Es war ein Höllenritt mit dir, keine einzige Sekunde möchte ich missen. Du warst alles für mich, mein geliebter Schatz.

Den Kampf gegen diese unsagbare Krankheit, die auch heute noch keinen Namen hat, haben wir verloren. Die Lähmung schritt voran und weitete sich im Juli 2024 in deinen Hals aus. Du konntest nicht mehr essen, die Gefahr, dass die Lähmung auch die Luftröhre betrifft war gross und die Lungenentzündung war bereits da. Die wunderbare Neurologin kämpfte noch ein paar Tage für dich, bis es klar war, dass wir den Kampf verloren hatten und wir dich nicht länger leiden lassen durften. Du warst nicht mehr Merlot, du wolltest nicht mehr, ich habe es gesehen und dich gehen lassen. Dich in den Tod zu begleiten war selbstverständlich, aber unglaublich schwer.

Als du so da lagst, deine Seele aus dem geöffneten Fenster flog, sah ich dich an und weinte jämmerlich. Bis du mir gesagt hast: „Hey Mama, das da bin nicht mehr ich, das ist nur mein Körper. ICH bin schon wieder bei DIR, also los, gehen WIR“.
Und so war es, Merlot ist seit diesem Tag immer an meiner Seite, mein stolzer Kämpfer, der über mich wacht, der mich begleitet, der mir Mut gibt, der mich noch immer zum Lachen bringt und mir immer wieder mal sagt, wie gut es ihm jetzt geht, da wo er ist, denn jetzt hat er wieder vier gesunde Beine und springt so ausgelassen über die Baumstämme, wie er es früher getan hat.